Boris Goudenow - Presseschau

Zar ohne Zimmermann

Hamburg - Großformatige Barock-Oper im Westentaschenformat, mit einer Zarenkrone als einziger Requisite und keinem Bühnenbild. Dafür spielte jemand eifrig am Lichtschalter, als im Libretto von Blitzen die Rede war. Mit einem wackeren Orchesterchen, dem Cythara-Ensemble unter der motorisch energischen Leitung von Rudolf Kelber, und einigen sehr engagierten Sängern. Für das Bucerius-Kunst-Forum, ansonsten als Ausstellungsraum bekannt, war die Weltpremiere von Johannn Matthesons Zaren-Oper "Boris Goudenow" fast 300 Jahre nach der hier nie stattgefundenen Uraufführung eine auf zwei Abende beschränkte Hamburgensie, die von Herzen kam, aber auch den Rahmen des dort Möglichen sehr strapazierte.

Die Handlung des von Johannes Pausch ausgegrabenen und edierten Kabinettstückchens war zwar so undurchschaubar und unwichtig wie befürchtet. Die Musik jedoch hatte, trotz der gefühlt epischen Ausmaße der vielen Da-capo-Arien, hin und wieder aparte Ideen vorzuweisen, die vor allem bewiesen, daß Mattheson genau zu bedienen wußte, was das Opern-Publikum am Gänsemarkt anno 1710 zu hören beliebte. Kein Wunder also, daß nicht der gütige, intrigenfeste Zar Boris, sondern sein arbeitsscheuer Diener Bodga (Wilfrid Jochens) die meisten Lacher auf der Nicht-Bühne ernten konnte.    jomi

Hamburger Abendblatt, 31. Januar 2005